Hochbetrieb kurz vor Weihnachten: Am Fusse des Matterhorns wird kein Meter von wintergenüsslicher Relevanz verschont. Jeder soll sein Märchen finden. Doch mitten im Skigebiet gibt es einen Ort, der höchst selten von Menschen betreten wird. Nur schüchterne Blicke finden den Weg dorthin, doch selbst diese sind rar – was sollte denn schon sein dort unten, wo im Sommer die Gornera donnert und im Winter die dunklen Felsen unter Schneewulsten hervorlugen und überaus abweisend wirken, als hüteten sie ein düsteres Geheimnis?
Das Abseilen ist mulmig. Ein Seil schnell ums Geländer gefädelt, geht es in die Tiefe – mitten in die dunkle Schlucht. Vorsichtig setzt man auf der Eisplatte auf, die einen wenig vertrauenserweckenden Boden bildet. Und dann bricht sie auch schon ein. Schwimmen ist angesagt, man klettert sorgfältig auf die nächste Eisplatte – sie hält, solange man sich bäuchlings bewegt wie ein Pinguin. Dann endlich ein Fels, Zeit sich umzuschauen.
So sieht es also aus, wenn ein Bergbach Pause macht von seinem Trieb, sich tief in die Felsen zu fressen: runde Steinformen mit marmorierten Mustern, Schneepolster, die im Kontrast zu scharfen Eiszapfen stehen. Überhaupt Kontrast! Ist das wirklich noch Zermatt? Eben stand man noch im emsigen Treiben von Wintersportbienen mit Pelz und Gopro. Doch jetzt ist es ruhig, ein einziges Abseilen wird zum steilsten Gradient der Realitäten.
Man fühlt Geborgenheit inmitten erstarrter Naturgewalt nebst kaltem Wasser im Neopren, das der Körperwärme den Kampf ansagen will. Doch die Wärme siegt, denn zu fantastisch ist diese Schlucht, die Fortbewegung ebenso spannend wie anstrengend. Man hat keine Zeit zu frieren: abseilen, einbrechen, schwimmen, mit den Steigeisen über fauchende Felsen kratzen. Erst als man mitten im Dorf endet, gewinnt die Kälte. Doch nur kurz: selten fühlt sich eine Sauna besser an, als nach der Entdeckung von Zermatts wahrem Märchen.
Text: Dominik Osswald