m hektischen Jerusalem drängt sich das Velo nicht gerade als Transportmittel auf. Hier sind drei der fünf Weltreligionen verwurzelt, die Stadt ist fest in der Hand von Pilgern und Touristen. Es erstaunt, als Asaf eine Stadtrundfahrt auf zwei Rädern vorschlägt. Auf dem T-Shirt des Guides prangt ein Schriftzug wie eine Aufforderung: Bike Jerusalem. Wenig später rollen wir durch Parkanlagen des israelischen Parlaments und durch den Innenhof des obersten Gerichts. «Es ist alles rollstuhlgängig, es gibt kein Fahrverbot», sagt Asaf zur ungewöhnlichen Routenwahl.
In der Stadt empfängt allgemeines Wohlwollen die Velofahrer. Schwer bewaffnete Wachmänner begegnen uns mit Gleichgültigkeit – gute Vorzeichen für eine Erkundung des Heiligen Landes mit dem Mountainbike. Israel will es auf die Landkarte der Abenteuertouristen schaffen.
Hinab ins Lebensfeindliche
Ostwärts von Jerusalem geht es nur bergab. Die judäische Wüste wird immer trockener, heisser und felsiger. Die Fahrt führt in ungewohnte Tiefen und endet erst 430 Meter unterhalb des Meeresspiegels, am Ufer des Toten Meeres. Bei der Abfahrt herrschen Temperaturen von über 40 Grad Celsius, Asaf erinnert uns deshalb daran, die Wasserrationen zu verdoppeln. Sein Ernährungsprinzip galt schon zu biblischen Zeiten: sechs Liter Wasser am Tag und eine Dattel jede Stunde.
Also packen wir den zeitlosen Proviant ein und stechen rein in den «Sugar-Trail», einen historischen Pfad durch das Jordantal. Die Hitze flimmert, der Himmel ist wolkenlos, der Boden staubtrocken, rötlich und fest. Zuckerrohr wächst hervorragend in dieser heissen Gegend.
Die Händler transportierten den Zucker einst auf Kamelen und Eseln; so entstanden verschiedene Pfade. Heute sind diese weitgehend verlassen und erweisen sich als beste Abfahrtsrouten: es geht durch Schluchten, ausgetrocknete Bachbetten oder über felsige Stufen. Nach Schatten braucht man nicht zu suchen, die Sonne brennt überall kompromisslos auf einen nieder.
Ohne Klimaanlagen gehts nicht
Vor einem leichten Anstieg stoppen wir und lassen die Weite auf uns wirken. Die Aussicht hat etwas Reines: oben der wolkenlose Himmel, unten der uralte Boden. Es ist die Landschaft, in der die Bibel spielt. Hier soll einst ein Mann von Räubern überfallen und schwer verletzt zurückgelassen worden sein. Ein Priester liess ihn unbeachtet liegen, ebenso ein Levit. Schliesslich kam ein Samariter vorbei, erbarmte sich des Verletzten und sorgte für Rettung. Der Clou an dieser Erzählung Jesu: Mit dem Samariter praktizierte ein Ausländer echte Nächstenliebe.
Am Toten Meer erwartet uns keine Abkühlung. Das Wasser besitzt Körpertemperatur und besteht zu einem Drittel aus Salz. «Seid euch bewusst, dass ihr eher in eine Lauge tretet als in Wasser», sagt Asaf vor dem nächtlichen Bad. Tatsächlich brennt das Wasser tierisch an den von Schürfwunden gezeichneten Biker-Beinen.
Die Temperaturen bleiben auch nachts hoch. Ohne Klimaanlagen geht hier unten, wo sich ein Hotelkoloss an den nächsten reiht, nichts. Alle garantieren Strandzugang, das Bad im Toten Meer verspricht wohltuende Wirkung für die Haut. Viel mehr haben die Hotels in dieser lebensfeindlichen Umgebung nicht zu bieten.
Rasch abseits der Zivilisation
Nitai Zecharya ist ein schmächtiger Mann, der seinen Job für einen der besten der Welt hält. Als Mitarbeiter des staatlichen Forstinstituts gehört es zu seinen Aufgaben, die angelegten Singletrails für Mountainbiker zu pflegen. Und weil er selber ein passionierter Mountainbiker ist, verschmelzen Beruf und Leidenschaft. «Es gibt in Israel inzwischen weit über 1000 Kilometer offizielle Singletrails», schwärmt Zecharya. Da der Landbesitzer für Unfälle auf seinem Grund haftbar gemacht werden kann und der Staat Israel viel Land besitzt, beschloss man Massnahmen. Allerdings wurde nicht einfach ein Verbot fürs Mountainbiken verhängt. «Man kann das wachsende Bedürfnis nicht unterbinden», sagt Nitai, «aber man kann es in etwas kontrolliertere Bahnen lenken.»
Was damit gemeint ist, zeigt Nitai etwas ausserhalb von Tel Aviv. Die Landschaft ist nur wenig hügelig, Autobahnen und Zuggeleise dominieren. Ben Shemen heisst unser Ziel, der Wald ist ein beliebtes Naherholungsgebiet. Man erwartet hier keine grosse Mountainbike-Idylle. Doch Nitai belehrt uns eines Besseren. Zwar befinden wir uns unweit der Verkehrsachsen, doch nach wenigen Metern ist man weit abseits der Zivilisation. Zwei Singletrails schlängeln sich durch dichten Wald, dann durch Olivenhaine – eine 32 Kilometer lange Rundfahrt auf sandigem Boden und Felsplatten, unter denen alte Grabstätten liegen.
Immer wieder öffnet sich der Wald und gewährt Ausblicke auf die Stadt: Die Hochhäuser Tel Avivs zeichnen sich in weiter Ferne ab, ein Flugzeug im Landeanflug donnert knapp über uns hinweg. Doch der pulsierende Verkehr hat nichts Störendes, vielmehr fühlt man sich wie in einer stillen Oase, die im Kontrast zu Autobahn und Flughafen noch dazugewinnt. In der Dämmerung klettern wir auf ein altes Wasserreservoir. Während wir Datteln und Oliven essen, scheint die Sonne als feuerroter Ball ins Mittelmeer zu stürzen.
Text: Dominik Osswald